Der Cerrado

Im São Francisco Tal werden einzigartige Ökosysteme vernichtet - vor allem der Cerrado, den Biologen inzwischen als das artenreichste Savannenökosystem der Erde geadelt haben: Obwohl wenig untersucht, wurden hier bereits über 10.000 Pflanzenarten identifiziert, von denen 4.400 endemisch sind. Daneben ist es reich an großen Tierarten wie Jaguar, Mähnenwolf oder Ameisenbär, weshalb der Cerrado auch als Lateinamerikas Serengeti bezeichnet wird. Zudem ist er Heimat Dutzender indigener Völker und bietet zugewanderten traditionellen Bevölkerungsgruppen Lebensraum und Existenzgrundlage.

„Im Cerrado“, sagt der Geograf Klemens Laschefski von der brasilianischen Bundesuniversität in Minas Gerais, „leben Menschen, die in den Statistiken und der Politik nicht wahrgenommen werden, weil sie nicht zur Wirtschaftskraft beitragen. Es gibt die Illusion, dass dieses Gebiet ökologisch nicht wertvoll sowie sozial untergenutzt ist.“ Dies sei eine alte Ideologie. So litt dieses Trockenwald-Ökosystem am stärksten unter der industriellen und oft gewalttätigen Agrarexpansion während der vergangen 30 Jahre: Weite Teile des Cerrado wichen Sojaplantagen und Rinderweiden, wurden rücksichtslos abgeholzt und mit Eukalyptuswälder aufgeforstet, um als Holzkohle in brasilianischen Stahlwerken verfeuert zu werden. Die Schätzungen über den Zerstörungsgrad reichen von 40 bis über 60 Prozent - und jetzt kommt der Ethanolfluch hinzu.

„Die Umweltminister behauptet immer, die Expansion der landwirtschaftlichen Nutzfläche zur Ethanolproduktion werde auf bereits degradierten Gebieten geschehen“, kritisiert der erfahrene Journalist und Koordinator des Umweltinformationsplattform EcoDebate, Henrique Cortez. „Tatsache aber ist, dass die Agrarfront voranschreitet, ohne so genannte degradierte Flächen zu nutzen. Warum? Weil die Wiederherstellung von degradierten Flächen teuer ist und viel Zeit beansprucht.“ Es sei schlichtweg billiger und einfacher für die Agrarindustrie den Cerrado abzuholzen und die Agrarfront weiter nach Amazonien zu treiben. Davon unbekümmert spricht Eduardo Pereira de Carvalho, der Präsident von São Paulos Union der Zuckerrohrindustrie, von rund 100 Millionen Hektar Land, die in den nächsten 15 Jahren in Zuckerrohrmonokulturen umgewandelt werden könnten.

„In unseren Feldstudien haben wir festgestellt, dass die Viehfarmer im Cerrado ihr Land an die Zuckerrohrproduzenten verkaufen und den Erlös in neue Viehweiden in Amazonien investieren. Der Raubbau am Amazonas geht also weiter und wird durch die Erschließung des Cerrados verschärft. In manchen Gebieten wandert der ganze Sektor der Milchwirtschaft inklusive der Verarbeitungsbetriebe in Richtung Amazonien.“

Unabhängig vom Wasserbedarf auf dem Feld benötigen auch Ethanolfabriken das kostbare Nass: drei bis fünf Liter je Liter Alkohol. Der vom Ethanolwahn und seinem Durst auf Wasser angeheizte Konflikt ist auch entscheidend im Streit um die von der Regierung Lula durchgepeitschte, mindestens zwei Milliarden teure Teilumleitung des Rio São Francisco im Nordosten Brasiliens. Zu den Hauptprofiteuren des Projektes zählen die Zuckerbarone des Nordostens, die in freudiger Erwartung ihre Plantagen erweitern.

 „Brasilien besitzt sechs große Biome: Amazonien, Pantanal, Cerrado, Caatinga, Mata Atlântica und Pampa. Eines davon wurde bereits durch Zuckerrohr vernichtet - die Mata Atlântica, der Atlantische Regenwald“, fasst Roberto Malvezzi, der Koordinator der pastoralen Landkommission, traurig zusammen. „Heute bestimmt Zuckerrohr den Staat São Paulo. Und es will den Cerrado, das Pantanal und in einer perversen Form der Bewässerung die besten Böden der Caatinga übernehmen. Das Volk verdurstet, aber das Zuckerrohr bekommt Wasser im Überfluss.“