Wenn
von Brasilien gesprochen wird, denken viele sofort an tropische
Regenwälder. Das tropisch feuchte Amazonasgebiet ist jedem bekannt.
Und doch gibt es in diesem riesigen Land, fast von der Größe
Europas, eine ausgedehnte Fläche, wo Wasser Mangelware ist. Sie
befindet sich im nordöstlichen Teil Brasiliens und umfasst rund
900.000 km². Das ist die Fläche Frankreichs und Deutschlands
zusammen! Hier wohnen mehr als 18 Millionen Menschen in oft
unvorstellbarer Armut. Hier sind die Vorzeichen geändert, wenn vom
Wetter gesprochen wird, geändert. Wenn der Himmel sich bewölkt, die
Sonne verschwindet, es feucht und regnerisch ist, dann bedeutet dies
für alle "schönes Wetter".
Das Klima ist regenarm und wird als semi-arid bezeichnet. Die Regenzeit und die Anzahl der Regenmonate ist nicht gleich im gesamten semi-ariden Gebiet. Sie konzentriert sich im südlichen Teil um den Jahreswechsel, im Norden um die Monate April und Mai und dauert vier bis sechs Monate. Die restlichen Monate sind garantiert regenfrei!
Eines der markantesten Kennzeichen des Gebietes ist das praktisch völlige Fehlen von permanenten Wasserläufen: die unzähligen Flüsse und Bäche führen selbst in der Regenperiode immer nur für kurze Zeit Wasser.
Der natürliche Pflanzenbewuchs trägt den
Namen Caatinga, was in der Sprache der Ureinwohner soviel wie
"weißer Wald" bedeutet. Es ist dies eine busch- bis baumartige,
wenig dichte Pflanzen-kecke, die oft mit Stacheln und Dornen
bewehrt ist. Typisch ist das Vorkommen von verschiedensten Arten
von Kakteen.
Das üppige Grün der Caatinga verliert sich bald
mit dem Ende der Regenzeit. Der dann praktisch blattlose Buschwald
nimmt eine hellgraue bis weiße Farbe an, mit der ihn die Ureinwohner
bezeichneten.
Die
Besiedlung dieses Gebietes liegt weit zurück. Gemäß den
archäologischen Forschungen in São Raimundo Nonato, Piaui, mitten im
heutigen Trockengebiet, datieren die ersten gesicherten Spuren
menschlicher Aktivität auf die Zeit vor 52.000 Jahren. Damals war
das Gebiet mit einem tropischen Regenwald bedeckt. Mit dem Ende der
letzten Eiszeit, vor rund 9.000 Jahren, verwandelte sich das einst
regenreiche Gebiet in die heutige Trockenzone. Die menschliche
Bevölkerung kam gut über den Klimawechsel hinweg und wusste mit den
neuen Bedingungen zu leben. Es waren Jäger und Sammler, die auch
bereits mit einfachem Feldbau begonnen hatten.
Die jährlichen langen regenfreien Perioden und
die immer wiederkehrenden, aber unregelmäßigen Trockenperioden
hinderten die eingeborene Bevölkerung nicht daran, den semi-ariden
Raum zu füllen und Werkzeuge, Tongefäße, Waffen sowie eine
eigenständige Religion und Kultur zu entwickeln. Die Portugiesen,
die vor 500 Jahren die Region besetzten, erkannten weder die
Weisheit der als "Indios" bezeichneten Urbevölkerung noch deren
tiefes Verständnis für die Natur und die ans Klima angepasste
Lebensweise, sondern interpretierten die Trockenperioden als
Ausnahmefälle, als Katastrophen, ja sogar als "Strafe Gottes". Dabei
gehören die Trockenperioden zum Caatingagebiet wie der Schnee zum
nördlichen Europa.