Seit
das Projekt der Flussableitung von der brasilianischen Regierung
angedacht wird, gibt es großen Widerstand von breiten Teilen der
brasilianischen Gesellschaft. Noch im Jahr 2001 stellte auch die
Arbeiterpartei (PT) und der damalige Präsidentschaftskandidat Lula
die Umsetzbarkeit und Effizienz dieses Projektes in Frage und
sprachen sich dagegen aus. Jedoch kurz nach dem Wahlsieg im Jahr
2002 stellte der neugewählte Präsident Lula das Projekt der
Flussableitung als eine seiner Prioritäten vor. Laut der
Projektpropaganda soll das Projekt die Wasserversorgung für 12
Millionen Einwohner des Nordostens garantieren.
Eine breites Netzwerk
von sozialen Bewegungen mobilisiert sich gegen das Projekt aufgrund
seiner Unrechtmäßigkeiten und der undemokratischen Vorgehensweise
der Regierung. Beispielsweise wurden die gesetzlich vorgeschriebenen
öffentlichen Anhörungsverfahren mit der Bevölkerung nicht
durchgeführt.
Entgegen der
Erwartungen der Umweltverbände und Fachleuten vergab die
Bundesumweltbehörde (IBAMA) im März diesen Jahres die
Baugenehmigung.
Ende September 2005
beginnt Dom Luiz Cappio seinen Hungerstreik und macht die
öffentliche Meinung auf die Manipulation durch die Projektpropaganda
aufmerksam. Denn in Wirklichkeit zielt es nicht auf die
Wasserversorgung der lokalen Bevölkerung ab sondern auf
wirtschaftliche Nutzung des Wassers für Bewässerung, Garnelenzucht
und industrielle Nutzung.
Nach elf Tagen
Hungerstreik wurde eine Verhandlungslösung erreicht. In dem
getroffenen Abkommen wurde mit dem Präsidenten Lula vereinbart, das
Projekt zu suspendieren und einen breiten Dialogprozess beginnen.
Ziel war es, über die effizienteste Art der Wasserversorgung für die
Bewohner der semiariden Region und über die nachhaltige Entwicklung
der Region sowie die Revitalisierung des Rio São Francisco
öffentlich zu diskutieren.
Monate später fand
ein einziges Treffen zwischen Vertretern der Regierung und der
Zivilgesellschaft statt. Aufgrund der beginnenden Wahlkampfkampagne
zu den Präsidentenwahlen wurde der Dialogprozess ausgesetzt und auf
die Zeit nach den Wahlen vertagt. Nach der Wiederwahl des
Präsidenten Lula ignoriert dieser das getroffenen Abkommen und
entsendet das brasilianische Militär, um mit den Bauarbeiten zu
beginnen.
Im folgenden eine
kurze Zusammenfassung der wichtigsten Ereignisse:
2004
Lula nimmt das
Projekt der Flussableitung als Priorität in das Regierungsprogramm
auf.
2005
26/09 bis 06/10/05 -
Dom Luiz Cappio, beginnt sein Fasten gegen das
Flussableitungsprojekt, in Cabrobó (Pernambuco). Aufgrund
öffentlichen Drucks entsendet der Präsident Lula den damaligen
Minister Jaques Wagner als Verhandlungsführer. Der "Hungerstreik"
endet mit einem beiderseitig unterzeichneten Übereinkommen, in dem
die Bildung einer Verhandlungskommission und der Beginn eines
Dialogprozesses festgelegt wird.
November - Die
Bundesstaatsanwaltschaft, die Staatsanwaltschaft des Bundesstaats
Bahia und das NGO-Netzwerk "Permanentes Forum zur Verteidigung des
São Francisco in Bahia", reichen eine neue Klage gegen das Projekt
beim Obersten Gerichtshof (STF) ein, und fordern die Einstellung des
Genehmigungsverfahren.
15/12/05 - Erste
Audienz des Präsidenten Lula mit der Verhandlungskommission und Dom
Luiz Cappio.
2006
23/02/06 - Ein
amtliches Dokument an Lula wird protokolliert, in dem er
aufgefordert wird den Terminkalender für die öffentlichen Debatten
über das Flussableitungsprojekt festzulegen, selbiges versprach die
Regierung seit Oktober 2005. Unterschrieben werden die Dokumente von
Dom Tomaz Balduino, für die Landpastorale, Dom Luiz Cappio, die
Staatsanwaltschaft und das Komitee des Wassereinzugsgebietes des Sao
Francisco.
06 e 07/07/06 -
Workshop über nachhaltige Entwicklung im semi-ariden Gebiet,
zwischen Vertretern der organisierten Zivilbevölkerung und
Vertretern der Bundesregierung, es entstehen drei thematische
Arbeitsgruppen um die Debatte über die Revitalisierung zu vertiefen.
04 a 07/10/06 -
Mobilisierungs- und Bildungscamp in Cabrobó (Pernambuco) zur
Entwicklung gemeinsamer Strategien des Widerstandes mit Teilnahme
der sozialen Bewegungen, Fischern, indigenen Gruppen und
traditioneller Bevölkerung.
10/11/06 - Oberster
Rechnungshof veröffentlicht Verfahrensprüfung des
Flussableitungsprojektes und stellt Empfehlungen an das zuständige
Ministerium aus.
Dezember -
Veröffentlichung des Atlas des Nordostens, der Nationalen
Wasserbehörde (ANA), der alternative Vorschläge für die
Wasserversorgung in den Kleinstädten der neun Bundesstaaten des
Nordosten, sowie dem Norden von Minas Gerais beinhaltet.
19/12/06 - Der
Oberste Bundesrichter Sepúlveda Pertence (STF) erklärt die 11
Einspruchsverfahren, die den Beginn der Arbeiten der Flussableitung
verhinderten, für unrechtmäßig.
2007
22/01/07/07 -
Veröffentlichung des Programms zur Beschleunigung des Wachstums
(PAC). Darin sind öffentliche Mittel im Umfang von R$ 6,6 Milliarden
(2,5 Mrd. Euro) für den Zeitraum von 2007 bis 2010 für das
Flussableitungsprojekt bestimmt.
05/02/07 -
NGO-Netzwerk "Permanentes Forum zur Verteidigung des São Francisco
in Bahia" reicht erneut eine Klage beim Obersten Bundesgerichtshof
gegen die Entscheidung des Bundesrichters Pertence, der die
laufenden Klagen aufgehoben hatte.
12/02/07 - Der
oberste Bundesstaatsanwalt, Fernando Antonio de Souza, reicht eine
Klage beim Obersten Bundesgerichtshof ein und fordert, das
Genehmigungsverfahren für die Bauarbeiten der Flussableitung zu
suspendieren.
21/02/07 - Dom Luiz
Cappio reicht einen Brief an Lula ein, in dem er die Wiederaufnahme
des Dialogs fordert.
März - Die
brasilianische Bundesumweltbehörde (IBAMA) vergibt die
Baugenehmigung für den Beginn der Bauarbeiten.
12 bis 16/03/07 -
Protest-Camp in Brasília "Für das Leben des Flusses São Francisco
und des Nordostens, gegen die Flussableitung", mit mehr als 600
Teilnehmern aus dem Flusstal und anderen Bundesstaaten, wie Ceará
und São Paulo.
16/03/07 - Geddel
Vieira Lima wird zum Amtsnachfolger von Pedro Brito als Minister des
Ministeriums für Nationale Integration ernannt.
16/04/07 - Die
brasilianische Rechtsanwaltskammer von Sergipe (OAB/SE) erhebt Klage
gegen das Ableitungsprojekt. Das Dokument mit 150 Gutachten
beinhaltet eine Studie der Weltbank, sowie Berichte über die
hydrologischen Bedingungen in den Empfängerbundesstaaten, wo die
Probleme der Wasserknappheit auf die schlechte Verteilung des Wasser
zurückführen sind.
Mai - Das Militär
beginnt mit den Bauarbeiten bei den Wasserentnahmestellen am Nord-
sowie am Ostkanal des Projektes.
04/06/07 - Brief von
Vertretern der Zivilgesellschaft fordert die Einhaltung des 2005 von
der Regierung beschlossenen Abkommens. Es unterzeichnen den Brief:
Dom Luiz Cappio, Adriano Martins, Yvonilde Medeiros, Jonas Dantas
(Permanentes Forum zur Verteidigung des São Francisco), Luciana
Khoury (Staatsanwaltschaft Bahia), ASA (Netzwerk der
Nichtregierungsorganisationen des semi-ariden Region), Frente
Cearense für eine Neue Wasserkultur; Forum Sergipano, Via Campesina
Brasil, Landlosenbewegung MST, Quilombolas, Fischer und indigene
Völker des Flusstals, sowie die Staatsanwaltschaft von Sergipe und
die Professoren João Suassuna e João Abner.
26/06 bis 04/07/07 -
Mehr als 1500 Aktivisten besetzen die Baustelle des Nordkanals des
Projektes der Transposição in Cabrobó (Pernambuco). An den folgenden
Tagen führen die indigenen Gruppen der Truká e Tumbalalá Landnahmen
ihrer angestammten Territorien in der gleichen Region durch.
Juli - Der oberste
Bundesstaatsanwalt reicht eine Petition ein, in der er die
unmittelbare Suspension der Bauarbeiten der Flussableitung fordert.
19/08 bis 01/09/07
Fachleuten und Vertretern der Zivilgesellschaft unternehmen eine
Kampagnen-Reise durch 11 brasilianische Großstädte. In öffentlichen
Veranstaltungen wurden die zentralen Argumente gegen die
Flussableitung und Gegenvorschläge für die ländliche Entwicklung in
der semiariden Region vorgestellt und diskutiert.
10 bis 14/09/07 -
Basisarbeits-Kampagne in den Dörfern und Städten entlang des
geplanten Ostkanals mit Beteiligung von Vertretern verschiedener
sozialer Bewegungen.
03 bis 10/11/07 -
Basisarbeits-Kampagne in den Dörfern und Städten entlang des
geplanten Nordkanals mit Beteiligung von Vertretern verschiedener
sozialer Bewegungen.
27/11/07 - Dom Luiz
Cappio nimmt den Hungerstreik wieder auf und bekundet, diesen erst
abzubrechen, sobald das Militär aus der Region abgezogen wird und
das Projekt der Flussableitung endgültig zu den Akten gelegt wird.
09.12.2007 Wallfahrt
der zum Sobradinho-Staudamm: hunderte von Menschen, die in
Solidarität mit Dom Cappio nach Sobradinho gekommen sind, pilgern
zur Staumauer, um an die Zerstörung des Rio São Francisco durch
Großprojekte anzuprangern. Auf der Staumauer stellt sich das
brasilianische Militär den Pilgern entgegen.
19.12.2007 - Der
Oberste Gerichtshof Brasiliens erklärt Einspruch gegen das
Genehmigungsverfahren für nicht rechtskräftig. Diese Entscheidung
ermöglicht der Regierung die Fortführung der Bauarbeiten. Angesichts
dieser Nachricht bricht Dom Luiz Cappio bewusstlos zusammen und muss
ins Krankenhaus eingeliefert werden.
20.12.2007 Nach 24
Tagen des Fastens und Betens beendet Dom Luiz Cappio seinen
Hungerstreik.
2008
14.02.2008 Anhörung
im Senat zum Thema Flussableitung des Rio São Francisco, unter den
Projektgegnern kommen Dom Luiz Cappio, Dom Tomáz Balduíno, Luciana
Khoury, João Abner, Apolo Heringer, Luciano Silveira, Henrique
Cortez und die Schauspieler Osmar Prado und Leticia Sabatella zu
Wort.
25.02.2008 -
27.02.2008 Konferenz der Bevölkerung des Rio São Francisco Tals und
der semiariden Region: Über 200 VertreterInnen von
Basisorganisationen aus 14 Bundesstaaten trafen sich vom in
Sobradinho im Nordosten Brasiliens, um die bestehenden Verhältnisse
in Bezug auf die Wasserproblematik in den verschiedenen Regionen des
Nordostens zu analysieren und gemeinsam Strategien für das weitere
Vorgehen zu entwickeln. Am Ende der Konferenz weiht Dom Luiz Cappio
eine Kapelle im MST Camp des Bewässerungsprojektes Salitre ein.
01.04.2008 Tag der
Lüge: Proteste in 10 Bundesstaaten, die auf die Lügen der Regierung
Lula im Hinblick auf die Ableitung des Rio São Francisco und andere
Megaprojekte hinweisen.
10.06.08 - 14.06.08:
Juni- Aktionswoche der Via Campesina: Rund 700 Vertreter
verschiedener sozialen Bewegungen und Landlosen-Organisationen
besetzten am 10.06.2008), das Wasserkraftwerk Sobradinho, im Norden
des Bundesstaates Bahia. Am gleichen Tag besetzten rund 1.500
Aktivisten das ca. 300 km flussabwärts gelegene Kraftwerk Xingó.
Diese Protestaktionen ist Teil der Aktionswoche der Via Campesina
(Dachorganisation der ländlichen sozialen Bewegungen und
Landlosen-Organisationen) gegen das Entwicklungsmodell der Regierung
für die semiaride Region des Nordostens, gegen Großprojekte, den Bau
von neuen Staudämmen und die Ableitung des Rio São Francisco.
Ähnliche Proteste fanden in insgesamt 16 Bundesstaaten statt.
17.10.2008 - Dom Luiz
Cappio erhält den Pax Christi Friedenspreis, Preisverleihung in
Sobradinho
2009
09.05.2009 - Dom Luiz
Cappio erhält den Kant-Weltbürgerpreis der Kantstiftung in Freiburg,
Deutschland
21.08.2009 bis
23.08.2009 - Treffen der Widerstandsbewegung zur Flussableitung in
Carnaíba do Sertão bei Juazeiro, im Norden des Bundesstaat Bahia.
Über 100 Vertreter von sozialen Bewegungen und Basisorganisationen
aus dem gesamten Einzugsgebiet des São Francisco-Flusses und den
nördlichen Empfängerstaaten der Flussableitung erarbeiten Strategien
und Vorgehensweisen für Protestaktionen und Kampagnenarbeit.
22.10.2009 - Dom Luiz
Cappio erhält in Rio de Janeiro den João Canuto Menschenrechtspreis,
der von der brasilianischen Menschenrechtsorganisation Humanos
Direitos (MHuD) vergeben wird.
26.11.2009 -
30.11.2009 Basisarbeits-Kampagne entlang der Baustellen der
Flussableitung und den zukünftig von den Bauarbeiten betroffenen
Dörfern. Dokumentation der großen Widersprüche zwischen der
offiziellen Regierungspropaganda und der Realität in den von den
Bauarbeiten betroffen Dörfern (völlige Desinformation der
betroffenen Bevölkerung, fehlende oder lächerlich geringe
Entschädigungszahlungen, Verlust der Existenzgrundlagen der
betroffenen Kleinbauern, große Unsicherheit bzgl.
Umsiedlungsmaßnahmen, Gefahr und Schäden durch die Sprengungen),
siehe http://www.noticiasdatransposicao.blogspot.com/